Ist Flexicurity wirklich die Lösung?

Bildnachweis: © Adobe Stock – Olga Galushko

Es mir durchaus bewusst: dieses Kunstwort bestehend aus den englischen Wörtern „flexibility“ und „security“ ist nicht neu. Aber es ploppt in der jetzigen Diskussion um flexible und agile Arbeitswelten immer wieder auf.

Was hatte sich der Europäische Rat dabei gedacht, als er 2.000 Flexicurity als Baustein in die Lissabon-Strategie aufgenommen hat? Es ging um nicht weniger als die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbeziehungen auf der einen Seite mit der Erhöhung der sozialen Sicherheit und damit dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite zu verbinden.

Makroökonomisch macht dieses Prinzip durchaus Sinn, wie Dänemark und die Niederlande es schon in den 1990er Jahren vorgemacht haben. Dort wurde die Regulierung des Kündigungsschutzes beispielsweise gelockert und gleichzeitig die kurzfristige, finanzielle Unterstützung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Falle einer Arbeitslosigkeit deutlich erhöht. Hinzu kommt eine intensive Begleitung erwerbsloser Personen zur Unterstützung einer zügigen Wiedereingliederung in Arbeit.

Entwicklung der Arbeitslosenquote in D – NL – DK im Zeitraum 1991 – 2007

Aber wie jeder gute Volkswirt weiß, wird aus einem makroökonomischen Prinzip nicht notwendigerweise ein mikroökonomisches, wenn man es durch 45 Mio. Erwerbstätige in Deutschland teilt. Will heißen, was für die Gesamtzahl der Beschäftigten in Deutschland funktioniert, muss für den Einzelnen nicht unbedingt sinnvoll bzw. in Ordnung sein.

Loyalität in Gefahr?

Die Idee, sich nicht vor einer kurzfristigen Kündigung fürchten zu müssen, weil man sozial abgesichert, hat sicherlich etwas für sich. Allerdings frage ich mich, welche Auswirkungen eine deutlich stärkere Hire-and-Fire-Politik, wie es sie in Dänemark gibt, auf die Loyalität von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Oder ist diese ein Wert der in Zeiten von Crowd-Working nicht mehr gefragt sein wird? So wirklich kann ich mir das nicht vorstellen. Eine schnelle Kündigung, weil im Moment gerade nicht genug zu tun ist, oder die völlige Ignoranz von privaten Terminen bei der Einsatzplanung verletzen in jedem Fall das als fair empfundene Verhältnis zwischen Geben und Nehmen. Loyalität ist ein Wert, den Arbeitgeber nicht nur von ihren Beschäftigten einfordern sollten sondern auch ihnen gegenüber zeigen müssen. Nur so kann Mitarbeiterbindung nachhaltig funktionieren.

Beruf und Privatleben unvereinbar?

Wir erleben es bereits heute. In der Medienbranche, der Lehre (an Universitäten) oder auch in der Pflege sind überwiegend befristete Arbeitsverhältnisse, Crowd-Working, Arbeitszeitkonten und andere Formen der Flexibilisierung an der Tagesordnung. In guten Zeiten haben beispielsweise Medienschaffende zwischen den verschiedenen Aufträgen kaum Zeit, in schlechten Zeiten kann es finanziell eng werden.

Diese Unsicherheit hat Auswirkungen auf die eigene Lebensführung. So zeigen Untersuchungen, dass das Eingehen von Partnerschaft und Elternschaft unter diesen Umständen leidet.

Flexicurity nicht möglich?

Im Rahmen der „Aktionswoche 2019 Erwerbsbiografien gestalten!“ gab Prof. Martin Diewald von der Universität Bielefeld zu bedenken, dass unter dem Begriff „Flexibilität“ sowohl seitens der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer*innen unterschiedliche und nicht immer zu vereinbarende Dinge verstanden würden. Für ihn seien jedoch die Unternehmen in Deutschland die relevante Ebene, wenn es um die Gestaltung der Arbeit im Sinne von Flexicurity gehe.

Diese teilweise nicht ausgesprochenen Erwartungen, die mit der Flexibilisierung der Arbeitswelt einhergehen, gilt es nach meinem Dafürhalten in einem ersten Schritt aus der Perspektive beider Seiten klar zu formulieren. Erst dann können beide Seiten daran gehen, nachhaltige Arbeitsmodelle in Form von Kompromissen zu finden. Dies wird jedoch ohne Identifikation mit dem eigenen Arbeitgeber nicht funktionieren. Es kommt also darauf an, dass es Unternehmen gelingt, den technischen und organisatorischen Wandel, der sich durch die „4 Ds“: Demografie, Diversität, Digitalisierung, Demokratisierung ergibt bzw. ergeben wird, ohne Identitätsverlust zu vollziehen.