Wieviel Transparenz verträgt mein Team?

Neue agile Methoden der Teamarbeit fordern Transparenz als Voraussetzung für das Gelingen eines kreativen und produktiven Zusammenwirkens aller Teammitglieder. Aber wieviel Transparenz vertragen wir wirklich? Was soll durch Transparenz offensichtlich werden und was dann lieber doch nicht?

Ganz ehrlich? Ich bin offensichtlich 30 Jahre hinterher, mindestens. Warum? Ich habe gerade erst den Scrum GuideTM  von Schwaber und Sutherland gelesen.1 Dort sprechen die beiden Erfinder dieses Rahmenwerkes von Transparenz als eine von drei Säulen der Prozesssteuerung. Dieser Anspruch ist damit wesentlicher Bestandteil der in dem Leitfaden beschriebenen Form der Entwicklungsarbeit.

==> Transparenz erzeugt sich nicht von selbst. Transparenz muss aktiv hergestellt werden.

Eine Anforderung, die leicht aufgestellt aber schwer umzusetzen ist. Transparenz erzeugen, sei es bespielsweise in Veränderungsprozessen oder bei der Entscheidungsfindung, ist meines Erachtens die hohe Kunst der Kommunikation, denn der Grad zwischen Erläuterung und Rechtfertigung ist schmal. 

==> Je mehr Informationen ist nicht gleich je transparenter der Prozess oder die Entscheidung. Der Mix aus Information und Komplexitätsreduktion entscheidet. 

Transparenz im Sinne von Verfügbarkeit entscheidungsrelevanter Informationen ist die Grundvoraussetzung für Selbstbewusstsein, für Selbstbestimmtheit und letztendlich damit auch für Selbstorganisation. Aber mit dem bloßen Bereitstellen von Informationen ist es offensichtlich nicht getan, denn sein wir einmal – also noch einmal – ehrlich, wer liest sich schon die E-Mails durch, die mit dem „fyi“ 2 weitergeleitet werden. Schnell wird aus „fyi“ „tmi“3! 

==> Transparenz muss also nicht nur in Bezug auf die Sache erzeugt werden sondern auch hinsichtlich des Kontextes, damit Teams kreativ und produktiv arbeiten können. 

Nicht nur das Erzeugen von Transparenz sondern auch der Umgang mit ihr ist eine Herausforderung. Nehmen wir noch einmal das oben erwähnte Scrum. Hier arbeiten die Scrum-Teams unter anderem mit einem Sprint Backlog, das ist eine Liste ausgewählter Aufgaben, die das Team im Verlauf eines Zeitraums (Sprint) erledigen will. Mit dem Sprint Backlog wird deutlich, was bis wann durch wen zu erledigen ist. 

Ein Freund von mir, der in der IT-Branche arbeitet, erzählte mir, dass er durch diese Form der Transparenz als Führungskraft entlastet würde, weil sich sein Team nicht nur selbst organisiere sondern auch selbst kontrolliere. Mein erster Gedanke war: „Oh, cool!“ und mein zweiter: „Ja, aber!“. Aber, was ist mit denjenigen, die nicht so können wie der Rest des Teams z. B., weil sie noch unerfahren sind? 

Inwieweit die Forderung nach Transparenz im Zusammenhang mit Teamarbeit neu ist, darf bezweifelt werden. Ich empfehle dazu, sich das Modell der Themenzentrierten Interaktion von Ruth Cohn4 einmal genauer anzuschauen. Sie war in jedem Fall 15 Jahre früher dran. Ha!

1  Ken Schwaber und Jeff Sutherland entwickelten Anfang der 1990er Jahre das Projektmanagement Framework Scrum.
2  fyi = for your information (zu Ihrer Information)
3  tmi = too much information (zu viel Information)  
4  Cohn, Ruth C., 1975, Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion, Stuttgart.